Hans-Eberhard Hess 1948-2021 – Ein Nachruf von Wilfried Dechau
Hans-Eberhard genannt zu werden, mochte er nicht, lieber ganz einfach: Eberhard. Er hat es aber auch nicht übelgenommen, wenn einem – unbedacht – das ungeliebte »Hans« rausrutschte. Ohnehin war er kaum aus der Ruhe zu bringen, selbst dann, wenn eine Antwort-Mail mal wieder mit dem Hinweis eingeleitet wurde, er stecke in der Schlussredaktion und habe für nichts Zeit, konnte man, wenn man ihn an die Strippe kriegte, lang und ausführlich mit ihm plaudern – als gäbe es keine Termine.
1993 habe ich ihn, den Chefredakteur der Zeitschrift »Photo International«, bei einer Ausstellungseröffnung im Stuttgarter Haus der Wirtschaft persönlich kennengelernt. Zu sehen waren Dieter Leistners »Aufblicke«. Kurze Zeit später, im Februar 1994, beim Tag der Architekturfotografie in Dortmund, ging es dann schon etwas mehr zur Sache. Wir waren uns einig darin, dass es bei der Architekturfotografie nicht nur um schönfärberische Dienstleistung für Architekten gehen könne. Für ihn war das wohl noch klarer als für mich. Dass Architekturfotografie auch Kunst sein könne, war für mich – als Chefredakteur der Architekturzeitschrift db – ja keineswegs selbstverständlich. Denn Architekten sehen nur die abgebildete Architektur, nie die Fotografie als solche.
Sehr schnell bekamen wir Gelegenheit, den Worten Taten folgen zu lassen. Der in England nur zwei Mal ausgelobte und dann eingestellte Tectonic-Prize wurde im Sommer 1994 von der db übernommen und als »architekturbild« weitergeführt, im Zweijahres-Rhythmus wie zuvor. Wir haben gemeinsam daran gearbeitet, dem Preis ein neues Profil zu geben. Auf jeden Fall sollte es nicht mehr um »mein schönstes Architekturfoto« gehen. Stattdessen wurde jedes Mal ein Thema gestellt, zu dem eine Serie von vier Fotos einzureichen war. Das erste Thema hieß »Mensch und Architektur«.
Sofort machten wir uns daran, den Preis nicht nur in der Architektur-, sondern vor allem in der Fotografie-Szene bekannt zu machen. Europaweit haben wir in beiden Welten nach weiteren Kooperationspartnern gesucht. Und haben so renommierte Zeitschriften wie »L’Architecture d’Aujourdhui«, »Camera Austria«, »domus«, »progresso fotografico« und andere für die Sache gewinnen können. Noch im gleichen Jahr konnte der Preis ausgeschrieben und im Juni 1995 erfolgreich vergeben werden. Und 1997, 1999, 2001…
In vielen gemeinsamen Jurysitzungen lernte ich Eberhards Expertise zu schätzen. Er trumpfte nie auf, war nie laut, hat immer erst einmal sorgfältig geschaut und zugehört, erst dann argumentiert und debattiert. So hat er – leise und zurückhaltend – mancher Jury-Runde seinen Stempel aufzudrücken vermocht. Für ihn galt ausschließlich: Die Qualität des einzelnen Fotos, die Qualität der Serie. Was diesen Ansprüchen nicht genügte, hatte keine Chance. Da konnte die abgebildete Architektur noch so prominent sein.
Die in Katalog und Ausstellung präsentierten Ergebnisse des Preises waren überraschend, hatten sie doch nur wenig mit der Art von Fotografie zu tun, die in der Architekturpresse nach wie vor den Ton angibt. Anfänglich hat mich das irritiert, schließlich war ich ganz naiv davon ausgegangen, man könne mit so einem Preis neue Talente für die Zeitschrift gewinnen. Mitnichten. Was wir zu sehen bekamen, eröffnete zwar ganz neue, ganz ungewohnte Horizonte, passte aber ganz und gar nicht in die Architekturpublikations-Werbewelt.
Aber genau das war es ja, was Eberhard begeisterte. Ohne ihn an meiner Seite hätte ich mit dem Architekturfotografie-Preis wohl über kurz oder lang Schiffbruch erlitten. Er war in der Sache immer hartnäckig und konsequent. Ich habe seine leise, aber nachdrückliche Unterstützung immer geschätzt und immer gebraucht. Ohne ihn wäre der Preis – inzwischen längst in der Obhut des architekturbild e.v. und damit befreit von den Fesseln der Zeitschrift – nicht flügge und schließlich erwachsen geworden.
Seine Ruhe, seine Kraft, sein Wort in Sachen Fotografie wird uns fehlen. Am 14. Mai ist er in München gestorben. wd
Wilfried Dechau, im Mai 2021 – Foto: Wilfried Dechau